25. Nov, 2022

Perspektivenwechsel - oder wie sehen die andern MEINE Welt?

Was für eine Raupe das Ende der Welt ist, das ist für den Meister ein Schmetterling.

                                                                                                                                                                                                                                                   Richard Bach

 

Unser Lebensstil, unser Denken, haben wir mit der Beobachtung der Welt in unserer Kindheit selbst gebildet. Mit diesem Lebensstil bildeten wir unsere Vorstellungen von uns und unserer Umwelt, unsere Filter, wie wir das Geschehen um uns herum immer wieder wahrnehmen (s. vorgängige Blogs). Jeder Mensch hat seinen Lebensstil, seine Vorstellungen und Filter selbst erschaffen, ist somit einzigartig und individuell. Ja, jeder für sich allein, das heisst MEINE Perspektive habe ich allein erschaffen und zeigt somit auch einzig meine eigene Sicht. DEINE Perspektive hast du allein erschaffen und zeigt somit auch einzig deine eigene Sicht. Letzte Woche durfte ich in kurzer Zeit gleich zwei Mal auf unterschiedliche Weise meine Perspektive wechseln, beides waren sehr interessante Erfahrungen für mich.


Bei meinem ersten Perspektivenwechsel durfte ich bei meinen Berufskollegen und Berufskolleginnen, von meinem mit Leidenschaft erkämpften und ausgeübten Beruf, bei ihrer Arbeit zusehen. Es ist erstaunlich, wie viel ich beobachten konnte mit den Augen, Ohren oder auch mit dem Wahrnehmen von Gefühlen. Wie fühlt sich die Person, was hat sie gesagt, wie hat sie es gesagt, was hat sie dabei gleichzeitig getan oder nicht getan. Es waren sehr kurze Sequenzen und doch konnte ich sehr viel darüber herausfinden. Fühlt sich die Person sicher bei der Arbeit, hat sie Stress, wie ist sie organisiert, oder wie sind die Beziehungen im Team. Mehrere Sequenzen beobachtete ich einfach und machte mir meine Gedanken über die anderen, also analysierte hart das Verhalten meiner Berufskollegen und Berufskolleginnen. Ich war erstaunt, wie einfach es war, nur durch Beobachten der Personen, die aktuelle „Stimmungslage“ auf der Abteilung zu erkennen. Obwohl ich wage zu behaupten, dass meine Berufsgattung ein Meister ist im Wechseln von Gefühlslagen, von freundlich zu bestimmt, von fröhlich zu mitfühlend, von geduldig wartend zu jetzt aber zack-zack. Durch Nachfragen überprüfte ich meine These, welche prompt bestätigt wurde. Mich beschäftigte diese Transparenz, obschon ich weiss, dass wir mit jedem Wort, jeder Handlung und unser visuelles Aussehen mehr als wir wollen von uns preisgeben. Viele haben Angst zu viel über sich zu „verraten“, nicht professionell und perfekt zu sein. Und doch gibt unser ganzes Auftreten so viel preis. Ist man als Person offen für diese Flut an Informationen, überschwemmt uns diese einfach ungefragt.

Dies erschreckte mich und plötzlich wurde mir klar, dass ich ja auch zu dieser Berufsgattung gehöre, wie ist das den bei mir? Wie wirke ich mit Stimme, Worte und Taten auf meine Mitmenschen gerade bei der Arbeit? Bis jetzt habe ich immer nur MEINE Welt betrachtet, wie sehe ich mich, wie sehe ich die anderen? Aber die anderen haben ja eine eigene Welt. Wie sehen die anderen mich, wie sehen die anderen die Welt?

Ein Perspektivenwechsel ist eine sehr wertvolle Erfahrung, den plötzlich öffnet sich der eigene Horizont und es zeigen sich ganz andere Wege auf. Meine Erfahrung mit meinen Berufskollegen und Berufskolleginnen, welche von all dem, was in meinem Kopf, in meinen Gedanken, vorgefallen ist, nichts erfahren haben, beeinflussten mich schon am folgenden Tag bei meinen Handlungen. Mir ist es wichtig hier zu definieren, es geht nicht um die berühmten Ängste: „Was denkt wohl der andere über mich, bin ich gut oder schlecht?“, sondern wirklich in einem gesunden Spektrum die Sichtweise zu wechseln. Empathisch die Sichtweise des Gegenübers zu erforschen, indem ich meine eigene Sicht willentlich für kurze Zeit aufgebe.


Der zweite Perspektivenwechsel fand in einem anderen Kontext statt. Kennst du solche Situationen oder Sequenzen, welche immer gleich ablaufen, es hat etwas mit Erfahrungen zutun oder auch mit dem „Wissen“, dass es immer so war und sein wird. Das beklemmende Gefühl in der Magengegend war schon Tage vorher spürbar.

Der Perspektivenwechsel war, dieses angebliche „Wissen“ loszulassen und die Chance für einen neuen Ablauf und „Ausgang“ zu ermöglichen. Otto Neurath benannte dieses „Wissen“ um 1911 als „selbsterfüllende Prophezeiung“, dies ist eine Vorhersage, die ihre Erfüllung selbst bewirkt. Menschen glauben an die Vorhersage, deswegen agieren sie so, dass sie sich erfüllt. Es kommt zu einer positiven Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten (Wikipedia.org). Dieser Vorgang gibt es aber auch im Negativen, dass sie sich eben nicht erfüllt, selbstzerstörende Prophezeiung. Wichtig ist dazu zu wissen, dass die Personen dies unbewusst herbeiführen, also sich dem eigenen Mitwirken nicht bewusst sind. Bis man es reflektorisch selbst entdecket oder in einer Beratung darauf aufmerksam gemacht wird.

Bei mir war es eine „selbsterfüllende Prophezeiung“, also ich wusste einfach, dass es so sein wird, so sein musste. Ich habe diesen Mühlstein der Vorhersage immer wieder in meinem Kopf gedreht, immer und immer wieder. Kurz vor der Situation begegnete ich einem interessanten Spruch: „Frage dich, warum du etwas zulässt, anstatt, warum andere dir dies antun.“ (Lebensfreudekalender 2022). Wieso lasse ich diese negativen Gedanken zu und was passiert daraus. Durch meine beraterische Ausbildung wusste ich von der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ und deren zerstörerischem Werk. Könnte ich dieses Prinzip nicht auch im positiven anwenden? Ich überdachte die bevorstehende Situation neu, was könnte alles im Positiven passieren, was wünsche ich mir, wie die Situation ausgehen soll. Ich hatte noch ein, zwei Tage Zeit für mein mentales Experiment und begann meinen positiven Mühlstein zu erstellen und immer wieder zu drehen, bis ich sogar mit einer freudigen Erwartung in die Situation hinein ging und der Knoten im Bauch sich langsam sogar auflöste.

E voilà: „Es kann alles auch ganz anders sein.“, wie Alfred Adler zu sagen pflegte. Ich konnte tatsächlich eine Referenzerfahrung schaffen mit der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ und hartem mentalem Training.

Probiere es doch auch mal aus, natürlich einmal im Kleinen, wie ich, quasi gib der Situation die Chance eine Positive zu werden.


In diesem Sinn: viel Spass beim Nachdenken


Liebi Grüess Evelyn